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Sabine „Bine" Lisicki
Mit Ehrgeiz, Charme & Poweraufschlag
„Ich bin traurig zu Hause gesessen und hab' Tennis total vermisst" - beschreibt Sabine Lisicki, nach ihrem Wimbledon-Überraschungscoup gegen Na Li, ihren Gemütszustand von vor einem Jahr. Damals, zwanzig Jahre jung, verpasste Lisicki nach einer Operation am linken Fußgelenk ihr Lieblingsturnier. Doch diesmal ist Wimbledon himmlisch. Sabine schwebt - zunächst aber sinkt die Berlinerin, überglücklich nach ihrem Sieg gegen die Nummer vier der Welt und French-Open-Siegerin, auf die Knie und vergießt auf dem Center Court vor 15.000 begeisterten Zuschauern Tränen der Freude.
Noch immer außer sich vor Glücksgefühlen, stammelt Lisicki wenig später: „Meine Emotionen fliegen bis zum Mond. Ich kann es noch gar nicht fassen." Es war ein unglaubliches Match, in dem Lisicki zwei Matchbälle abwehrte, und der Sieg für die 21-Jährige nach einem couragierten, hochklassigen Kampf und allem, was sie durch Verletzungen mitmachen musste, etwas Besonderes - zumal sie auch nur dank einer Wild Card des Klubs mitspielen durfte, weil ihr Ranglistenplatz für eine Teilnahme noch nicht wieder ausgereicht hätte. „Es ist einfach der Wahnsinn, wieder zurück zu sein, denn Na hat mir ja nichts geschenkt."
Vor zwei Jahren sah Lisickis Tennis-Welt schon einmal rosig aus. Sie holte damals in Charleston ihren ersten Titel auf der WTA-Tour, spielte sich ins Viertelfinale von Wimbledon und kletterte auf Platz 22 der Weltrangliste. Die junge Karriere des Teenagers schien perfekt zu laufen. Doch dann passierten dumme Geschichten mit Verletzungen. Zuerst war es die Schulter, dann das Sprunggelenk. Eine Operation war notwendig. „Es war furchtbar. Ich hatte nach sieben Wochen mit Krücken in der linken Wade keine Muskeln mehr und musste erst wieder gehen lernen." Das tennisverrückte Ding ließ sich aber nie unterkriegen. „Ich wusste immer, dass ich zurückkomme und wieder oben mitspiele. Ich wusste nicht, wie lange es dauern wird. Es war hart, aber ich kämpfte mich durch und war sogar entschlossen, stärker zurückzukommen. Und ich glaube, ich kam stärker zurück."
Sabine Lisickis Erwartungen waren schon immer hoch. Sehr hoch. 2008 überraschte die damals Achtzehnjährige die Tenniswelt bei ihrem ersten Grand-Slam-Turnier in Melbourne - sie musste sich das Geld ausleihen, um da überhaupt hinfliegen zu können, und durch die Quali, um ins Hauptfeld zu kommen - mit der Ankündigung: „Ich will mal die Nummer eins werden und Grand-Slam-Turniere gewinnen." Sie wurde belächelt. Sie sagt das noch immer. Warum auch nicht? Nick Bollettieri, in dessen Drill-Camp, der IMG-Tennis-Academie in Florida, sie sich länger aufhält als zu Hause in Berlin, sagt über Sabine: „No limit." Was für ein Kompliment, von einem Mann, der zehn Schüler/innen hatte, die die Nummer eins wurden, und unzählige mit großen Tenniskarrieren?
Wer keine hochgesteckten Ziele hat, kommt auch nie ganz oben hin. „Weltmeister", sagte einmal Günther Bosch, der den jungen Boris Becker zum Wimbledon-Champion führte, „Weltmeister werden nur die ganz Hungrigen." Und Sabine Lisicki ist hungrig und kann ohne Tennis nicht leben. „Ich bin sehr ehrgeizig", sagt sie und gleich auch noch knallhart hinterher, „zu ehrgeizig." Sie lacht dabei herzhaft, denn sie hat, wie könnte es anders bei ihr sein, kein Problem damit.
Hinzu kommt, bei Sabine Lisicki wirkt Tennis wie eine Droge. Sie ist süchtig nach Erfolg. Rückschläge, wie die nach der halbjährigen Verletzungspause im vergangenen Jahr,
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steckt sie schnell weg. Gleich bei den US Open war sie wieder positiv und voll Zuversicht: „Ich habe noch nie so lange ausgesetzt. Die Lockerheit, die ich immer hatte, habe ich aber schon wieder. Ich bin auch fitter und eine ganz andere Spielerin." Sabine Lisicki und Selbstzweifel? Unmöglich. Wer von Platz 22 auf 218 oder von einer gesetzten Spielerin bei Grand-Slam-Turnieren zu einer, die nicht einmal die Qualifikation spielen darf, zurückfällt, und so ein Comeback hinlegt, hat keine.
Auch das Match bei den French Open gegen Vera Zvonareva, als Lisicki im dritten Satz bei 5:2 einen Matchball vergab und nach „Ganzkörperkrämpfen" entkräftet auf einer Trage vom Platz geschleppt werden musste, warf sie nicht wirklich aus der Bahn. Eine, vor Wochen festgestellte, Gluten-Allergie war der Auslöser. „Ich musste meine Ernährung komplett umstellen." Keine Nudeln mehr und keine Pizza. „Mein Körper musste sich erst einmal an die Umstellung gewöhnen. Das braucht Zeit, aber wird mich nicht mehr umhauen."
Typisch Lisicki. Immer positiv und immer gute Laune. Wie im Aktuellen-Sportstudio. „Ich bin ein Stehaufmännchen" kam spontan, als es um ihre gar nicht lustigen Rückschläge durch Verletzungen ging. Ihre natürliche Fröhlichkeit, strahlend blauen Augen und ihr wunderbares Lachen bezaubern alle. In Wimbledon eroberte Lisicki die Herzen der Engländer nicht nur wegen ihres unbändigen Kampfgeistes, sondern auch durch ihre Unbekümmertheit und Frohnatur. Und bei Pressekonferenzen plauderte sie immer munter drauf los: „Ich hab' jetzt viel mehr Spaß auf dem Platz und genieße alles viel mehr. Ich spiel' mein bestes Tennis, wenn ich Spaß habe, und deshalb hab' ich mir ein paar Mal meine Spiele in Wimbledon von vor zwei Jahren angeschaut und gesehen, dass ich da auch viel Spaß hatte."
Vor zwei Jahren hatte Sabine Lisicki nicht damit gerechnet, soweit zu kommen. „Diesmal war es anders. Ich hab' in Birmingham auf Gras gewonnen und mich riesig auf Wimbledon gefreut." Nach Na Li warf Lisicki die Japanerin Misaki Doi und dann die gefährliche Tschechin Petra Cetkovska, „weil ich das Match nach Anlaufschwierigkeiten noch rechtzeitig drehen konnte", raus. Und woher kommt diese Nervenstärke? Die Antwort von Trainer-Vater Dr. Richard Lisicki gleich nach dem Spiel: „Sie ist furchtlos, kann den Spielstand und Druck ausblenden und macht sich nichts aus großen Namen. So war sie schon immer." In diesem Moment kam Sabine vom Platz und fiel ihrem Papa um den Hals. Er küsste sie glücklich - es war dieses Mal schon der vierte Sieg im Tennis-Mekka.
Das Tennis-Märchen war aber noch nicht zu Ende. Auch die französische Top-10-Spielerin Marion Bartoli konnte Lisicki auf dem Weg ins Halbfinale nicht stoppen. Es ist zum Jubeln - Sabine Lisicki hat Geschichte geschrieben. Sie schaffte zwölf Siege hintereinander auf Rasen und erreichte nach zwölf Jahren als erste Deutsche seit Steffi Graf das Halbfinale in Wimbledon. Gegen Maria Scharapowa war dann leider Schluss. Kein Finale. Aber hinterher war sie gar nicht so traurig. Da war noch das Doppel mit Samantha Stosur, das die beiden erst im Finale verloren haben.
Lisicki ist eine, die uns noch verblüffen wird. Mit Tennis und ihrem Charme - so oder so, sie ist ja erst einundzwanzig. Herzerfrischend auch, wie die hübsche Blonde mit dem härtesten Aufschlag aller Spielerinnen mit den Tennisfans über Facebook und Twitter kommuniziert. „Die Herzen hüpfen Dir entgegen wie Tennisbälle… schlag nicht zu hart zu", hat ihr einer getwittert. Kann man es netter sagen? Nein!
Eberhard Pino Mueller
publiziert: August 2011 -- DTZ- Deutsche Tennis Zeitung Tennisbibliothek TAKEOFF-PRESS Presse-Dienst-Süd -- JOURNAL/EURO
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